KI-integrierte Produktion und 'unreife' Prozesse

Schnelle Innovation als Wettbewerbsvorteil

Das Hochlohnland Bundesrepublik Deutschland und das Land Baden-Württemberg verdanken einen Großteil ihres Wohlstandes der Fähigkeit ihrer mittelständisch geprägten Industrie, schnell und immer wieder innovative Produkte auf den Weltmarkt zu bringen. Dabei ist es entscheidend, permanent einen wissenschaftlichen und technologischen Vorsprung zu internationalen Wettbewerbern und potenziellen Nachahmern aufrechtzuerhalten.

Die Welt, in der wir leben und arbeiten, ist nicht stabil, sondern volatil. Agile, wandlungsfähige Produktionskonzepte und die schnelle Befähigung von Prozessen haben das Potenzial, die Wertschöpfung in Baden-Württemberg langfristig zu erhalten.

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Fleischer, Leiter des wbk Instituts für Produktionstechnik am KIT

Mittels des Ansatzes KI-integrierter Produktion zielt die Karlsruher Forschungsfabrik direkt darauf ab, solche Vorsprünge bei neuen, herausfordernden Fertigungsverfahren systematisch zu erarbeiten und auszubauen. Ausgangspunkt ist die immer häufiger anzutreffende Beobachtung, dass Ingenieur*innen und Fertigungsplanende neue Fertigungsprozesse nicht mehr wie bisher vollständig ausspezifizieren. Vielmehr muss es möglich sein, qualitativ hochwertige neue Produkte schon zu produzieren, während die Fertigungsprozesse selbst noch im Entstehen begriffen sind.

'Unreife' Prozesse beherrschen

'Unreife Prozesse' bezeichnen also Fertigungsprozesse, die noch nicht vollständig verstanden und beherrscht werden, weil sie entweder neu sind, neue Werkstoffe verarbeiten oder weil man nicht genau versteht, welche Prozessparameter eigentlich für die Produktqualität verantwortlich sind.

In der Karlsruher Forschungsfabrik erforschen wir, an welchen Schrauben im Prozess man 'drehen' muss, damit die Qualität der Produkte gleichmäßig hoch ist und bleibt. Basierend auf Verfahren des maschinellen Lernens und der Mess- und Regelungstechnik sollen die Maschinen und Anlagen ihre Prozessparameter letztlich selbst einstellen. Sie sollen automatisiert darauf reagieren können, wenn die Qualität der Produkte sich schleichend verschlechtert, sich die Umgebungsbedingungen ändern (hohe Luftfeuchtigkeit, geringere Temperaturen, etc).

Mittels vorübergehend zusätzlicher Instrumentierung mit Sensoren und Aktuatoren sowie Maschinellem Lernen können wir Prozesse schneller kennenlernen, effektiv regeln, beschleunigt produktiv machen und optimieren, auch wenn wir Einflüsse und Zusammenhänge zunächst noch nicht alle verstehen.

Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Beyerer, Institutsleiter Fraunhofer IOSB

Der Markt kann also schon sehr viel früher mit den neuen Produkten bedient werden, weil unreife Prozesse schneller industrialisiert werden können. Mit der erheblich kürzeren Time-to-Market können die Zielmärkte neuer Produkte schon bevor die Fertigungsprozesse bezüglich Herstellkosten optimiert sind, erobert werden.

Prozesse zur Reife bringen - in Elektromobilität, Leichtbau und Industrie 4.0

Wie kann man nun aber den scheinbaren Widerspruch zwischen unreifen Prozessen und einer darauf fußenden Produktion auflösen und gleichzeitig den Prozess zur Reife führen? Die Antwort liegt in der generischen Grundidee, den unreifen Prozess zunächst massiv mit Sensorik, Messtechnik und Eingriffsmöglichkeiten zu instrumentieren. Die Auswertung der dabei gewonnenen Daten u.a. mit aktuellen Methoden des maschinellen Lernens und deren verständliche Visualisierung für den Experten ermöglichen es, den Prozess zu explorieren, ihn schneller zu verstehen und gezielt zu verbessern.

Gleichzeitig schafft die anfängliche Überinstrumentierung die Voraussetzungen, den unreifen Teilprozessen regelungstechnisch in gewissen Grenzen ein gewünschtes Zielverhalten aufzwingen zu können, und sie so, wenn auch mit zunächst erhöhtem Aufwand, beherrschbar zu machen.

Mit dieser Methodik fokussiert sich die Karlsruher Forschungsfabrik auf die Anwendungsfelder Elektromobilität, Leichtbau und Industrie 4.0.

 

Leichtbaukonzepte ermöglichen es, Werkstoffe effizient einzusetzen und tragen dazu bei, Klima- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen – sowohl in stationären als auch mobilen Anwendungen, wie der Elektromobilität.

Prof. Dr.-Ing. Frank Henning, Leiter des Fraunhofer ICT

Vereinte Kompetenz: Die Partner der Forschungsfabrik

Entscheidend für den Erfolg der oben skizzierten Methodik ist die disziplinübergreifende Zusammenarbeit der drei Forschungsinstitute, die gemeinsam die Forschungsfabrik betreiben. Die drei Partner vereinen die einschlägigen Kompetenzen in der Werkstoff-, Fertigungs- und Verfahrenstechnik sowie in der Automatisierungs-, Sensor- und in der Informationstechnik.

Die beteiligten Institute und ihre Kompetenzen